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Entstehen und Vergehen auf Grund von Bedingungen

Wenn dieses ist, wird jenes; wenn dieses entsteht, entsteht jenes; wenn dieses nicht ist, wird jenes nicht; wenn dieses aufhört, hört jenes auf.
(Samyutta-Nikaya II.12.2)

Auf den ersten Blick scheint diese Aussage etwas ziemlich Selbstverständliches, ja Triviales zu behaupten: Alle Dinge und Ereignisse entstehen und vergehen mit den sie verursachenden Bedingungen. Wer wollte schon etwas anderes behaupten? Was immer wir betrachten — ob den Wechsel der Gezeiten am Meer oder Geburt, Heranwachsen und Tod eines Menschen, ob Liebe und Hass oder Großzügigkeit und Geiz — alle diese Erscheinungen treten in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen auf und lösen sich wieder in etwas anderes auf, wenn sich die sie bedingenden Faktoren verändern.

In allem, was wir in uns und um uns herum erfahren, zeigt sich dasselbe, hervorstechende Merkmal: Unser eigener Körper, unsere Empfindungen und Erfahrungen wie auch die Erscheinungen der Außenweit sind in ihrem Sein abhängig oder bedingt von etwas anderem. Und so wie alles durch etwas anderes bedingt ist, wirkt es auch selbst wieder als Bedingung für etwas anderes. Wir erfahren Wirklichkeit als einen steten Wandel der Erscheinungen, wobei vielfach miteinander verbundene und auf einander einwirkende Prozesse ineinander greifen. Jeder einzelne Vorgang entsteht auf Grund bestimmter Bedingungen und wirkt seinerseits auf andere Vorgänge ein. Wir können beobachten, wie Regen, Sonne und die Erde auf die Entwicklung einer Eichel bis hin zu einem mächtigen Baum einwirken, dessen Laub im Herbst herabfällt, vermodert und jenen würzigen Humus bildet, aus dem im Frühjahr vielleicht eine Glockenblume wächst. Wir können beobachten, wie Neid und Missgunst sich in Mord und Totschlag auswirken und eine Kettenreaktion von Rache und Sippenhaft in Gang setzen, die sich über Generation hinziehen kann. Anscheinend entsteht nichts spontan oder auf unbedingte Weise, und nichts bleibt ohne Folgen. Alles zählt und ist für alles andere wesentlich.

In der buddhistischen Überlieferung wird diese Gesetzmäßigkeit als paticca samuppada (Pali) beziehungsweise pratitya samutpada (Sanskrit) bezeichnet: Entstehung in Abhängigkeit oder auf der Basis von Bedingungen, kurz: bedingte Entstehung. Indem wir uns der bedingten Entstehung aller Erscheinungen in immer subtilerer Weise gewahr werden — und das heißt: sie nicht nur intellektuell verstehen, sondern in allen Lebensregungen gar durchlässig für sie sind —, können wir lernen, aus der blindwütigen Macht undurchschauter Ereignisse auszubrechen und zur frei fließenden Schöpferkraft der Erleuchtung zu erwachen. Die Erkenntnis des Gesetzes der bedingten Entstehung, eine Erkenntnis, die nicht nur intellektueller Natur war, sondern alle Ebenen seines Lebens durchdrang und verwandelte, gilt als die zentrale Entdeckung des Buddha. Daher konnte er auch sagen:

Wer die bedingte Entstehung sieht, sieht den Dharma; wer den Dharma sieht, sieht mich.
(Zitiert nach Banerjee, A.C., Sarvastivada Literature, Calcutta 1957, S. 79)

Ein solches ‚Sehen’ ist also nicht dasselbe wie ein bloß verstandesmäßiges Begreifen — so nützlich letzteres auch selber sein mag. Pratitya samutpada tatsächlich zu sehen, es zu schauen führt zum Aufgeben all unseres aktiven und passiven Widerstands gegen das Gesetz des beständigen Wandels. Wer pratitya samutpada sieht, kann gar nicht anders als zu erkennen, dass es Begehren, Ergreifen und Anhaften sind, die alles Leiden verursachen. Wer pratitya samutpada sieht, durchschaut und überwindet damit auch den sich im zwanghaften ‚Ich-en’ oder ‚Selbt-en’ äußernden doppelten Irrtum, dass es ‚mich’ und eine von mir getrennte ‚Welt’ gibt. Pratitya samutpada sehen heißt erkennen, dass ‚ich-du-er-sie-es-wir-ihr-sie’ frei erfundene Geschichten sind, denen in der Wirklichkeit nichts entspricht. Man erfährt direkt und existenziell, dass es weder ‚Seher’, ‚Begehrer’, Ergreifer’ oder ‚Festhalter’ gibt noch je gegeben hat, und ebenfalls keine gesehenen, begehrten, ergriffenen und festgehaltenen Dinge, sondern einfach nur Sehen, Begehren, Ergreifen und Festhalten — vor aller Unterscheidung von Subjekt und Objekt, ein ganz und gar ‚unpersönliches’ Geschehen, das abhängig ist von Bedingungen und mit dem Erlöschen dieser Bedingungen endet.

Anscheinend unterliegt die gesamte Wirklichkeit diesem Gesetz der Bedingtheit. Zumindest können wir nichts finden, das außerhalb davon steht. In diesem Sinn kann man der Lehre vom bedingten Entstehen universale Gel-tung zuschreiben. Dabei ist es aber wichtig festzuhalten, dass die Summe aller Bedingungen, die an einem einzelnen Ereignis beteiligt sind, selbst unbegrenzt ist und dass wir die meisten von ihnen auch gar nicht erkennen (können). Deshalb lässt sich weder sagen, dass es ‚notwendiger Weise’ zu einem bestimmtem Ereignis kommen ‚musste’, noch können wir durch Beobachtung nachweisen, dass diese und keine anderen Bedingungen zu seinem Auftreten geführt haben. Vor allem aber sollten wir im Auge behalten, dass es dem Buddha mit der Formulierung von pratitya samutpada auch gar nicht darum ging, irgendein ‚Weltgesetz’ zu postulieren. Seine Absicht war pragmatisch und nicht philosophisch oder wissenschaftlich. Deshalb wies er immer wieder darauf hin, dass er die ‚spezifische bedingte Entstehung’ lehrte. Ihm ging es darum deutlich zu machen, welche Bedingungen immer dann gegeben sind, wenn Alter, Krankheit, Tod, Kummer, Sorge entstehen — „die ganze Masse des Leidens’ — und, im Umkehrschluss, welche Bedingungen überwunden werden müssen, damit solches Leiden nicht entstehen kann. Als die fundamentale Wurzel von Glück wie Leiden identifizierte der Buddha den menschlichen Geist. Die berühmten Anfangsverse des Dhammapada drücken das so aus:

 

Alle Dinge entstehen im Geist,

Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

Rede mit unreinem Geist,

Handle mit unreinem Geist,

Und Leiden wird dir folgen,

Wie das Rad dem Fuß folgt, der den Wagen zieht.

 

Alle Dinge entstehen im Geist,

Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

Rede mit reinem Geist,

Handle mit reinem Geist,

Und Glück wird dir folgen,

Wie der Schatten dem Körper folgt und nicht weicht.

(Dhammapada 1)***

 

Die für den Buddhismus zentrale Lehre vom bedingten Entstehen verfolgt eine vor allem pragmatische oder, wenn man will, heilsmäßige Absicht. Es wäre irreführend, sie mit einem wissenschaftlichen Kausalgesetz gleich zu setzen, wie es westliche Autoren manchmal tun. Eine Betrachtung der unterschiedlichen Arten von ‚Bedingungen’, über die sich schon die frühen buddhistischen Gelehrten den Kopf zerbrochen hatten, würde rasch verdeutlichen, dass es sich bei pratitya samutpada gar nicht um ‚Kausalität’ und auch nicht um ‚Interdependenz’ im Sinne der westlichen Ideengeschichte handeln kann. Zahlreiche Hinweise in den buddhistischen Schriften und Kommentare verdeutlichen, dass es zumindest teilweise um etwas anderes als jene Gesetzmäßigkeiten geht, die man mit den westlichen Kausalitätskonzepten zu erfassen sucht. Dabei ist es gleichgültig, ob wir eher an ‚lineare’ oder an ‚vernetzte’ Formen der Verursachung denken. Immer wieder betonte der Buddha, seine Lehre bezwecke nichts anderes als zu zeigen, wie Leiden entsteht und wie es überwunden werden kann. In dieser Absicht benutzte er die Lehre vom bedingten Entstehen als ein besonders wirksames ‚geschicktes Mittel’. Dessen oberflächliche Ähnlichkeiten mit gewissen Positionen unseres eigenen Kulturkreises sollten uns nicht dazu verleiten, westliche Begriffe — mitsamt den ihnen anhängenden Bedeutungsnuancen — ungeprüft auf die Lehre von der bedingten Entstehung zu übertragen.

Diese kurzen Bemerkungen machen es vielleicht nachvollziehbar, warum es so verwirrend unterschiedliche Über-setzungen der Begriffe paticca samuppada (Pali) beziehungsweise pratitya samutpada (Sanskrit) gibt. Nur eine kleine Auswahl sei an dieser Stelle gegeben: ‚Entstehung in Abhängigkeit’, ‚bedingte Mit-Verursachung’, ‚Kausalnexus des Entstehens’, ‚wechselseitige Verursachung’ (mutual causality), ‚Intersein’ (Inter-being), ‚Konditionalität’, ‚Interdependenz’, ‚gegenseitige Durchdringung’, ‚Relativität’ ... Wahrscheinlich ist keine dieser Übersetzungen ganz und gar falsch, doch sie alle erlauben bestenfalls eine Annäherung an das Gemeinte. Jede hebt den einen oder anderen Aspekt auf Kosten der übrigen hervor. Und keine schützt uns davor, die Lehre von der bedingten Entstehung als ein quasi ontologisches Gesetz — als Aussage über die Beschaffenheit des Seins — misszuverstehen, statt als ein primär diagnostisches Instrumen, das eingesetzt wird, um die Therapie existenziellen Leidens wirkungsvoll zu orientieren.

Die Lehre vom bedingten Entstehen ermöglichte es dem Buddha, auf eine ganz ‚unpersönliche’ Art und Weise über Leiden und die Befreiung vom Leiden sprechen. Das mag uns zunächst einmal merkwürdig erscheinen, ist aber außer-ordentlich wichtig. Es ist eng verbunden mit einer anderen Lehre, der Lehre vom Nicht-Selbst, die logisch aus der Lehre von der bedingten Entstehung folgt. Wenn wir im Alltag von Leiden, Glück und dergleichen sprechen, tun wir das gewöhnlich in Sätzen wie ‚ich bin glücklich’ oder ‚es tut ihr weh’ oder ‚er empfindet Schmerzen’. Das heißt, wir sprechen so, als ob es da jemanden gäbe — mich, sie, ihn —, die Freude oder Leid erfahren und gewissermaßen besitzen können. Unsere Redeweise unterstellt somit eine Trennung zwischen der Freude oder dem Leid einerseits und dem Sub-jekt dieser Erfahrung andererseits. Mit jeder derartigen Aussage aber festigen wir auf subtile Weise unseren geradezu instinktiven, vor-intellektuellen Glauben an die Existenz eines beständigen Selbst. Genau das wollte der Buddha anscheinend unterlaufen, indem er das Geschehen entpersonalisierte. In den ältesten Schriften findet man zahllose Stellen, in denen der Buddha von einem Schüler oder einer Schülerin etwa folgendes gefragt wird: „Wer ist es, der leidet?’ „Wer ist unwissend?’ „Wer erlangt Erleuchtung?’ Immer wieder wies der Meister solche Fragen als ‚unzulässig’ zurück und sagte sinngemäß: „Ich lehre nicht, dass jemand leidet, sondern ich lehre die Wahrheit vom Leiden und den Weg zum Aufhören des Leidens.’ Um die Ursachen des Leidens zu erkennen und zu überwinden, es nicht nötig zu unterstellen, dass es überhaupt jemanden, also ein ‚Subjekt’ oder ‚Selbst’ gibt, das Leiden erfährt und sich auf den Weg zur Leidensüberwindung macht. — Wenn Sie sich noch nicht viel mit Buddhismus beschäftigt haben, finden Sie eine solche Unterscheidung vielleicht ziemlich spitzfindig. Anhaltende und tiefe Meditation darüber wird aber zeigen, dass es sich bei der ‚unpersönlichen’ Formulierung dieser Aussagen um ein außerordentlich wirksames geschicktes Mittel handelt, in dem große Weisheit verborgen ist.